Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 434 |
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01 | Das vernünftige Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem | ||||||
02 | durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag | ||||||
03 | nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es | ||||||
04 | aber nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern nur alsdann, | ||||||
05 | wenn es ein völlig unabhängiges Wesen ohne Bedürfniß und Einschränkung | ||||||
06 | seines dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten. | ||||||
07 | Moralität besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, | ||||||
08 | dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist. Diese Gesetzgebung | ||||||
09 | muß aber in jedem vernünftigen Wesen selbst angetroffen werden | ||||||
10 | und aus seinem Willen entspringen können, dessen Princip also ist: keine | ||||||
11 | Handlung nach einer andern Maxime zu thun, als so, daß es auch mit ihr | ||||||
12 | bestehen könne, daß sie ein allgemeines Gesetz sei, und also nur so, daß | ||||||
13 | der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein | ||||||
14 | gesetzgebend betrachten könne. Sind nun die Maximen mit diesem | ||||||
15 | objectiven Princip der vernünftigen Wesen, als allgemein gesetzgebend, | ||||||
16 | nicht durch ihre Natur schon nothwendig einstimmig, so heißt die Nothwendigkeit | ||||||
17 | der Handlung nach jenem Princip praktische Nöthigung, d. i. | ||||||
18 | Pflicht. Pflicht kommt nicht dem Oberhaupte im Reiche der Zwecke, wohl | ||||||
19 | aber jedem Gliede und zwar allen in gleichem Maße zu. | ||||||
20 | Die praktische Nothwendigkeit nach diesem Princip zu handeln, d. i. | ||||||
21 | die Pflicht, beruht gar nicht auf Gefühlen, Antrieben und Neigungen, | ||||||
22 | sondern bloß auf dem Verhältnisse vernünftiger Wesen zu einander, in | ||||||
23 | welchem der Wille eines vernünftigen Wesens jederzeit zugleich als gesetzgebend | ||||||
24 | betrachtet werden muß, weil es sie sonst nicht als Zweck an sich | ||||||
25 | selbst denken könnte. Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens | ||||||
26 | als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen und auch auf | ||||||
27 | jede Handlung gegen sich selbst und dies zwar nicht um irgend eines andern | ||||||
28 | praktischen Bewegungsgrundes oder künftigen Vortheils willen, sondern | ||||||
29 | aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem | ||||||
30 | Gesetze gehorcht als dem, das es zugleich selbst giebt. | ||||||
31 | Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine | ||||||
32 | Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes | ||||||
33 | als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben | ||||||
34 | ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. | ||||||
35 | Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse | ||||||
36 | bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfniß | ||||||
37 | vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am | ||||||
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